f-franziska-betreuteswohnen

Altenpflegeheim geht neue Wege in der Einzelbetreuung:

Herr Tietz denkt noch lange nicht ans Sterben

„Herr Tietz denkt nicht ans Sterben“ – so der Titel eines Dokumentarfilmes, der im Franziska-Schervier-Altenpflegheim gedreht wurde und im März 2006 im Fernsehen erstausgestrahlt wurde. In dem Film geht es um die Betreuung demenziell erkrankter Menschen nach dem Psychobiografischen Pflegemodell von Erwin Böhm, das im Franziska-Schervier-Altenpflegeheim umgesetzt wird. Im Zentrum des Films stand Werner Tietz, ein Bewohner des Hauses.

Sportfest, Foto: Schervier Altenhilfe

Herr Tietz war früher einmal Sportlehrer, hat mit Mahatma Gandhi Schach gespielt, kennt das Deutsche Turnfest aus alter Zeit und natürlich war er früher beim Faustball selbst aktiv. Heute ist Werner Tietz 85 Jahre alt und im fortgeschrittenen Stadium demenzkrank. Vor fast sechs Jahren kam er ins Franziska-Schervier-Altenpflegheim in Frankfurt. In 2007 zog er von dort ins neu erbaute Pfarrer-Münzenberger-Haus in Frankfurt-Eschersheim um. Im Rahmen der Einzelbetreuung durch den Sozialkulturellen Dienst unserer katholischen Einrichtung war er jetzt beim Deutschen Turnfest in Frankfurt und erlebte dort live ein spannendes Faustballspiel.


Wie es dazu kam

Im Team des Sozialkulturellen Dienstes der Franziska Schervier Altenhilfe in Frankfurt, das auch das Pfarrer Münzenberger Haus betreut, entstand die Idee, Herrn Tietz zum Deutschen Turnfest mitzunehmen. Dessen Leiter Christian Meyer-Wolf hatte in seinem Heimatort in früheren Jahren selbst Faustball gespielt. Eine heute eher unpopuläre Sportart, die aber früher viel und häufig gespielt wurde und fester Bestandteil des Deutschen Turnfestes ist. Seine ehemalige Jugendmannschaft meldete sich zum Turnfest an und fragte, ob er mitspielen wolle, „wie anno dazumal“.

Herr Tietz, Foto: Schervier Altenhilfe

Bei den Stichworten Faustball und Turnfest kam die zündende Idee: Das Franziska-Schervier-Altenpflegeheim hat einen fachlichen Schwerpunkt in der Arbeit mit dementen Bewohnern und arbeitet als zertifizierte Einrichtung nach dem psycho-biografischen Pflegemodell von Professor Erwin Böhm. Aufgrund der intensiven Biografiearbeit war bekannt, dass Sportlehrer Tietz früher Teilnehmer beim Deutschen Turnfest war. Warum also nicht den Versuch starten, einem einzelnen Bewohner auf seinem biografischen Hintergrund die Möglichkeit zu geben, an einem solchen Ereignis teilnzunehmen und Erinnerungsarbeit in einer realen Situation außerhalb des Altenpflegeheimes zu leisten? Absprachen im Haus erfolgten und der Bewohner wurde gefragt, ob er zuschauen möchte. Natürlich wollte er. Der Transport und die Begleitung wurden organisiert und wenige Tage später war er auf dem Deutschen Turnfest live dabei.


Herr Tietz auf dem Turnfest

Zwei Meter vom Rasengrün entfernt konnte er die Sportler und Sportlerinnen verfolgen. Zu Essen gab es Bockwurst mit Salat und später einen Kaffee. Die Tartanbahn, das Rasengrün, die Sportler, die Atmosphäre unter freiem Himmel und das Ambiente einer Sportveranstaltung waren Herrn Tietz direkt vertraut und er fühlte sich sichtlich wohl. Es war wie früher, „kenn ich alles“, erklärte er begeistert seiner Begleiterin, Ergotherapeutin Ann-Kathrin Kunz, und machte Fotos vom Spielplan, vom Spielfeld, von einer Damenmannschaft und von Flugzeugen, die den Frankfurter Flughafen ansteuerten und ihn ebenso interessierten wie das Treiben auf dem Sportplatz.

Nach drei Stunden Aufenthalt ging es wieder zurück ins Pfarrer-Münzenberger-Haus. Die Faustballer der Mannschaft aus Bederkesa hatten ‚ihrem alten Sportsfreund’ noch eine Turnfestmedaille überreicht. Für Werner Tietz war dieser Tag ein Zugewinn an Lebensqualität. „Er konnte viele positive Impulse mitnehmen, an die wir in der weiteren Arbeit mit Herrn Tietz anknüpfen können“, so das Resümee des engagierten Sozialdienstleiters Meyer-Wolf zu der Aktion. Die Turnfestmedaille trägt Herr Tietz seitdem stolz um den Hals. Immer wieder Mal werden Erinnerungen und Geschichten aus der Zeit damals, als er ein aktiver Sportler war, wach. In seinem Zimmer hängt auch das Gruppenfoto mit ihm und der Mannschaft aus Bederkesa. „Meine Mannschaft,“ erklärt er. Wo und wann das war, weiß er nicht, er erkennt auch niemandem auf dem Bild, aber er ist sicher „die habe ich trainiert!“

Sportfest, Foto: Schervier Altenhilfe

Nicht nur für Werner Tietz war es ein Tag, um alte Erinnerungen aufzufrischen, auch der eine oder anderen Aktiven fühlte sich in Jugendzeiten zurückversetzt und für die ganze Mannschaft war die Begegnung mit einem dementen Menschen in dieser ungewöhnlichen Umgebung „mindestens genauso spannend wie das Spiel“.

Ein Modell, das Schule machen kann

Die intensive Auswertung des Turnfestbesuches führte dazu, weitere Ansätze für solche alltagsorientierten Projekte, sowohl bei desorientierten wie auch bei orientierten Bewohnern, zu entwickeln. Zur Zeit trainiert Ergotherapeutin Ann-Kathrin Kunz mit einem nach einem Schlaganfall rechtsseitig gelähmten Bewohner und ehemaligen Sportkegler und freut sich schon heute: „Wenn es gelingt, die Kraft und Motorik im linken Arm ausreichend zu trainieren, dann werden wir irgendwann mit ihm zum Kegeln in seinen alten Sportkeglerverein fahren können. Das wäre ein riesen Erfolg für ihn.“